Dissertationsprojekt Sven Jäger, M.A.

Frühe Alamannen zwischen Rhein, Neckar und Enz

Forschungsstand im Arbeitsgebiet

Probleme      

Im Verhältnis zu den angrenzenden Gebieten, wie beispielsweise dem Neckartal, ist der Forschungsstand im Arbeitsgebiet zur Zeit unbefriedigend. Alleine der Stand zu den Grabfunden des Bearbeitungsgebietes ist hier hervorzuheben, denn die wenigen bekannten Fundkomplexe sind beinahe vollständig aufgearbeitet. Doch diese liegen meist im Randbereich des Bearbeitungsgebietes, wie der Rheinebe oder dem gut erforschten Neckartal. Dagegen sind aus dem südlichen und dem zentralen Bereich des Kraichgaus kaum Gräber bekannt. Viel problematischer steht es um die Siedlungsfunde. In Verbreitungskarten zu dem Zeitraum zwischen 3. und 5. Jahrhundert stellt sich das Gebiet rund um den Kraichgau bis in jüngste Zeit als weißer Fleck dar. Nur vereinzelt konnten hier Funde, bei denen es sich in der Regel um Einzel- oder Zufallsfunde und nicht um tatsächliche Siedlungsstellen handelte, kartiert werden. Bis vor einigen Jahren waren nur eine Hand voll Fundpunkte der frühalamannischen Zeit zu nennen. Dies sind u.a. Kirchardt, Wiesloch und Flehingen. So zeichnen sich bisher beim Zusammentragen der bisherigen Publikationsergebnisse nur sehr geringe Anzeichen für eine frühalamannische Besiedlung ab.

So blieb es stets bei Nennungen der seltenen Funde, vagen Beschreibungen von Altfunden oder der schlichten Akzeptanz einer Nichtexistenz von Alamannen. Da somit der Kraichgau im starken Gegensatz zu fundreichen Regionen wie dem Neckartal stand, gab es kaum eine ausreichende Grundlage, um fundierte Aussagen zur frühalamannischen Besiedlungsgeschichte zu erarbeiten. Zum Teil ging man sogar davon aus, dass diese auffällige Fundleere von Material aus dem 4. Jahrhudnert n. Chr. ein Zeugnis römischen Machteinflusses im rechtsrheinischen Gebiet wäre und hier demnach eine germanische Landnahme bedingt und nur unter römischer Kontrolle stattgefunden habe. Auch wenn diese Art "Demarkationszone" stets kritisch betrachtet wurde, so konnte man dieser Idee aufgrund archäologischer Funde nichts entgegenbringen. Alleine der Fakt, dass der Kraichgau eine extrem fruchtbare Region darstellt wiedersprach zumindest theoretisch diesem Bild einer siedlungsleeren Durchgangslandschaft.

Doch gab es zu jeder Zeit auch Zweifel an diesem "leeren" Bild. Oftmals wurde der Stand als Forschungslücke interpretiert, die gleich mehrere Gründe haben konnte. So finden einerseits in dieser ländlichen Region selten größere Bauprojekte statt, die größere Notgrabungen der Denkmalämter bedürfen, weshalb nur wenige Funde ans Licht gekommen sind. Andererseits sind die starke Erosion und die intensive Landwirtschaft im Kraichgau plausible und nachweisbare Gründe, weshalb Funde und Befunde oftmals nicht mehr nachweisbar sind. So lagen beispielsweise im Gräberfeld von Mingolsheim viele Befunde unter meterhohen Lößablagerungen oder sie wurden auf den Kuppen durch den intensiven Einsatz des Pflugs langsam zerstört bzw. durch die Erosion abgeschwemmt. Daneben liegen weitere Gründe in der Forschungsgeschichte und der Forschung selbst verborgen.

Durch intensivere Ausgrabungstärtigkeiten an meheren Fundplätzen in den letzten 20 Jahren wurde das häufig vermutete schlichte Bild einer Forschungslücke nach und nach bestätigt. Die Ausgrabungen in Güglingen oder Bad Rappenau-Babstadt zeigen , dass man zumindest im Falle von optimalen Lagerungsumständen und Bergungsbedingungen durchaus frühalamannisches Fundmaterial bergen kann. Aufgrund dieser neuen Funde ist es nun möglich die Forschungslücke weitetgehend zu überbrücken, diese durch reichhaltiges Fundmaterial fundiert aufzuarbeiten und neue Impulse für die archäologische Erforschung dieser wichtigen Region zu geben. Daneben geben neuere Forschungsergebnisse aus dem Breisgau oder der Wetterau einen aktuellen Anlass ebenfalls zahlreiche vorgeschichtlichen Fundkomplexe im Arbeitsgebiet zu untersuchen und sie differenzierter zu bewerten, denn nicht selten verbirgt sich unter eisenzeitlicher Keramik auch die eine oder andere frühalamannische Scherbe.




Allgemeine Forschungsprobleme

Die frühalamannischen Grabfunde des frühen bis späten 4. Jahrhunderts (grob Stufe C3). Sichtbar wird,
dass die meisten Gräber kleine Grabgruppen oder Einzelgräber sind und die größeren Gräbergruppen oftmals aus Brandgräbern bestehen. Nicht aufgeführt sind die Gräberfelder und Gräbergruppen von Bad-Säckingen, Distelhausen, Forchheim, Frankfurt a. M.-Praunheim und Groß-Gerau, die ebenfalls jeweils aus mehreren Brandgräbern bestehen(Aufstellung nach Daten von H. Schach-Dörges 1998)

An dieser Stelle seien nur einige wenige Punkte genannt, welche zur Zeit als markanteste Schwerpunkte oder archäologische Forschungsprobleme gelten können und stets kontrovers behandelt werden. Über diese Punkte hinaus gibt es noch einige weitere, die aufzuführen wären. Zu nennen sei hier nur die Abhängigkeit von der römischen Chronologie, die Fragen nach Datierungen von elbgermanischen Funden und die Gleichsetzung dieser mit frühalamannezeitlicher Keramik, Diskussionen um Nomenklaturen (Schalenurne oder Schüssel, frühe Alamannen oder frühe Alamannenzeit bzw. alamannische Landnahmezeit) wie auch Interpretation von schriftlichen Quellen und ihre Übetragbarkeit. Einige davon betreffen freilich nicht nur die Archäologie der späten Kaiserzeit, sondern sind ambivalent und in vielen Forschungen zu anderen Epochen wiederzufinden, andere dagegen sind sehr spezifisch für die Beschäftigung mit den frühen Alamannen. Darum soll auf Punkte eingegangen werden, die bei der Arbeit im Projekt besonders aufgefallen sind und auch die weiteren praktischen Arbeiten des Projekts stark beeinflussen.


  • Grabfunde - Quantitativer Mangel und Überlieferung:
    Heute können wir etwa 500 bis 600 Gräber an etwa 100 Fundplätzen der frühalamannischen Zeit kartieren. Diese Gräber sind bisher beinahe gänzlich bewertet, verglichen und publiziert worden. Auf den ersten Blick scheint diese Zahl imposant, doch steht das in keinem Vergleich zu anderen Epochen. Reihengräberfelder besitzen alleine nicht selten weit über 200 Gräber, römische Gräberfelder - auch noch in der Spätantike - beinhalten alleine je nach Siedlungsbezug oftmals zwischen mehreren dutzend bis über tausend Bestattungen und selbst in vorgeschichtlichen Kulturen, wie der Urnenfelderkultur (ca. 1300 bis 800 v. Chr.), waren ausgedehnte Gräberfelder mit vielen hundert Gräbern nicht unüblich. Neben der quantitativen Komponente gesellt sich noch ein Problem des Dokumentations- und Erhaltungszustands. Die meisten Bestattungen dieser Zeit sind Einzelbestattungen. Nur ein Bruchteil sind tatsächlich größere Gräberfelder, wie z. B. jenes von Kahl am Main mit alleine 221 Bestattungen. Somit verteilt sich ein Großteil der bekannten Grabfunde auf wenige Gräberfelder. Gravierender ist, dass es sich bei sehr vielen Gräbern und Gräberfeldern um Altfunde handelt, welche nicht selten schon vor den ersten Jahrzehnten des 20. Jahhrunderts geborgen wurden. Durch fehlende Dokumentation und fragliche Fundzuordnungen ist eine Auswertung oft schwer oder unmöglich. Selbst wenn man die hohe Qualität vieler frühalamannischer Grabfunde mit einbezieht, so wird in dieser quantitativen und dokumentativen Relation doch sehr deutlich, dass der Mangel an Gräbern, welche besonders für chronologische Forschungen wichtig sind, deutliche Auswirkung auf die Arbeiten mit diesem Thema hat. Hier bleibt zu hoffen, dass trotz der schwierigen Überlieferungsbedingungen (Einzelgräber, kaum Siedlungsanschluss der Gräber, keine Grabbauten wie Hügel etc.) und der schweren Auffindbarkeit die Zahl der bekannten Gräber steigt.


  • Nicht hinter jedem Punkt steckt auch eine Siedlung. Die meisten
    Punkte in dieser Kartierung sind auf kleine und wenige Lesefunde oder Zufallsfunde zurückzuführen und nur die wenigsten zeigen tatsächlich eine archäologisch nachweisbare Siedlungstätigkeit
  • Fehlende Siedlungen:
    Ebenso steht es auch um die Siedlungen. Die Kartieung der Siedlungen zeigt auf den ersten Blick eine recht dichte Verteilung, allerdings ist diese regional auf einige Gebiete begrenzt und andererseits steckt nicht hinter jedem Punkt eine tatsächlich ausgegrabene Siedlung. Vielmehr sind rund 80 % der Fundpunkte reine Lese- oder Zufallsfunde, die nicht selten alleine aus einer Hand voll Scherben oder einer einzelnen Gewandschließe bestehen. Somit sind diese kaum als Siedlungsfunde oder gar als Hinterlassenschaften einer Siedlungsaktivität anzusprechen und die Aussagekraft dieser wenigen Funde ohne entsprechenden Fundkontext ist in der Regel als gering einzuschätzen. Wie bei den Grabfunden gibt es im Vergleich zu anderen Epochen noch sehr wenige gut dokumentierte und flächig ausgegrabene Siedlungen der frühalamannischen Zeit.


  • Gräber als primäre archäologische Quellengattung:
    Die Resultate aus den Arbeiten mit Gräbern sind Chronologiesysteme ("Überlagerungen und horizontale Stratigraphie"), sowie Werke zur Sozial- und Gesellschaftsordnung ("Beigaben und deren Wertigkeit"). Allerdings können Gräber nur bedingt verwendet werden, um die tatsächliche Lebenssituation der frühen Alamannen zu erfassen, da in ihnen neben der Lebenssituation zugleich beispielsweise religiöse Sitten, bestimmte Riten und Beigabengebräuche zum Tragen kommen, die ein Lebensbild mehr oder weniger stark verzerren können. Beispielsweise kann eine bewusste Auswahl an Grabbeigaben dazu führen, das wertvolle Gegenstände gänzlich fehlen, keinerlei Gebrauchskeramik in Gräbern zu finden ist, oder die Brandbestattung zur schlechten Erhaltung vieler Fundgattungen führt. Erst die flächige Aufarbeitung vieler Siedlungen, die im Optimalfall mit entsprechenden Gräbern/Gräberfeldern verbunden werden können, ist eine stichhaltige Rekonstruktion der Vergangenheit möglich. Noch ist derartiges in größerem Rahmen nicht möglich gewesen, doch bleibt auch hier auf zukünftige Ausgrabungen zu hoffen.


  • Nicht immer einfach: Aufgrund vieler formalen Übereinstimmungen ist es oftmals sehr schwierig die Keramik den richtigen Epochen zuzuordnen. Besonders ausgeprägt ist die Überschneidung bei
    hallstatt- bzw. frühlatènezeitlicher und frühalamannischer Keramik. In diesen beiden Fällen fiel aufgrund der Vollständgkeit der Gefäße und dem Fundkontext (Gräber) die Einstufung leichter:
    links hallstattzeitlich und rechts frühalamannisch

    Material:
    Spätestens die 1977 in den Fundberichten Baden-Württemberg publizierte Arbeit von Dieter Planck zum frühalamannischen Siedlungsplatz in Sontheim im Stubental verdeutlichte eines der größten Probleme der Siedlungsforschung. Planck betont deutlich die starken formalen Ähnlichkeiten und Überschneidungen - besonders bei der handaufgebauten Keramik - zwischen frühalamannischer, hallstatt- bzw. latènezeitlicher und merowingischer Keramik. Nur anhand einer formal-stilistischen Betrachtung ist es aufgrund der meist starken Fragmentierung des Fundmaterials kaum möglich die frühalamannische handaufgebaute Keramik von jener der anderen ganannten Epochen zu trennen. Nur eine sehr ausführliche makroskopische und zum Teil naturwissenschaftliche Analyse gibt eine Hilfestellung für eine Differenzierung. So gilt allgemein in der Tendenz, dass frühalamannische Keramik härter gebrannt ist, primär mineralische Bestandteile wie Quarz dem Ton beigegeben sind und diese Magerungspartikel recht groß ausfallen (vgl. hierzu Christel Bücker 1999). Da die Keramik aufgrund der großen Fundmenge auch immer der erste und wichtigste Datierungsindikator auf einer Ausgrabung ist, ist zu erklären, dass die Schwierigkeit in der Abgrenzung zu anderen Epochen zu einer Unterrepräsentation der frühalamannischen Siedlungen führt. Besonders wenn man sich vor Augen hält, dass die Dichte an sicher datierbaren Kleinfunden nur ein Bruchteil der Kleinfunddichte in Gräbern ausmacht, wird dieser Aspekt umso deutlicher.

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