Dissertationsprojekt Sven Jäger, M.A.

Frühe Alamannen zwischen Rhein, Neckar und Enz

Alemannen oder Alamannen?

Die Thematik rund um die Alamannen ist sehr weit gefächert. Schon die Bezeichnung "Alamanne/Alemanne" ist etwas, womit viele Menschen abweichende Vorstellungen und Bilder verbinden. Deutlich wird dies schon alleine am Umstand, dass bis heute zwei verschiedene Schreibweisen existieren. Am geläufigsten ist im modernen Sprachgebrauch das mit dem "e" geschriebene Wort Al(l)emannen, welches im 19. und frühen 20. Jahrhundert zuweilen auch mit einem Doppel-L geschrieben wurde. Allerdings existiert auch das mit dem "a" geschrieben Alamannen. Dies sorgt in vielerlei Hinsicht dorch für Verwirrung. Jedoch kann dies erklärt werden.
Auf den ersten Blick mögen beide Begriffe ein und dasselbe bedeuten, allerdings ist dies bei genauer Betrachtung der mit den Begriffen verbundenen wissenschaftlichen Inhalte nicht der Fall. So ist nicht zuletzt durch die Vermittlung antiker Quellen in Schulen den meisten bewusst, dass es eine Zeitepoche in der Frühgeschichte gab, die mit Al(l)emannen/Alamannen verbunden wird. Somit reden wir, wenn wir diese Namnen verwenden, automatisch von einer Epoche der Frühgeschichte, die nach den Römern begann. Doch stutzen nicht wenige Menschen, die von außerhalb Baden-Württembergs stammen, dass ebenso auch Bereiche des lebendigen Brauchtums und der Sprache mit diesen Begriffen verknüpft werden. Doch wie passt dies zusammen, denn eine jahrtausende überdauernde Tradition durch alle Wirren der Geschichte hindurch ist schwer vorstellebar? Um nun zu erläutern, woher die abweichenden Schreibweisen und inhaltlichen Verbindungen kommen, möchte ich an dieser Stelle eine kurze Erklärung aufzeigen:

Fastnacht: Bei den meisten Badenern und Württembergern wird bei der Nennung der Alamennen/Alemannen ein Bild von maskierten und fantasievoll verkleideten Narren (Hästräger) hervorgerufen. Dieses Brauchtum wird alljährlich zur schwäbisch-alemannischen Fastnacht auf den Straßen vieler Städte Badens, Schwabens und der Nordschweiz ausgelassenen gelebt. Zahlreiche Vereine und Gemeinschaften halten diese Tradition am Leben und erfinden sich immer wieder neu. Durch die äußerst traditionell und zum Teil martialisch anmutenden, teilweise sogar über Generationen vererbten Verkleidungen (Häs) sowie durch das archaisch und fremd anmutende Treiben der 5. Jahreszeit erwecken die Veranstaltungen der Fasnet das Bild einer altertümlichen Tradition, die, so scheint es, alljährlich schon seit den grauen Vorzeiten aufs Neue gepflegt wird.
Heute wissen wir, dass dieses archaische anmutende Brauchtum mit seinen oft mysteriös anmutenden Riten keinesfalls so urtümlich ist, wie man denken mag. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es sich auch bei der schwäbisch-alemannischen Fastnacht, wie sie heute sichrtbar ist, um eine auf christlich-theologischer Glaubenswelt fußenden Tradition handelt, die stark weltliche Züge hat und sich in der bekannten Form erst im späten Mittelalter und der frühen Neuzeit (wohl. 15./16. Jahrhundert) herausgebildet hat. Seit jeher unterliegt die Fastnacht starken Wandlungen und ist auch immer ein Abbild des herrschenden Zeitgeistes.

Schematische Wiedergabe eines alemannischen Fachwerks

Architektur: Schaut man in den Bereich der Architektur und Baufoschung, so findet sich ebenfalls auch dort regelmäßig der Begriff "Alemannisch". So wird beispielsweise manches Fachwerkgebäude Südwestdeutschlands aufgrund seiner spezifischen "Rähmbauweise" als "alemannischer Fachwerkbau" bezeichnet. Derartige Bezeichnungen sind sehr geläufig und nicht nur auf das Alemanische begrenzt.
So existiert neben dem "Alemannischen Fachwerk" der "Alemannische Erker", das "Fränkische Gehöft", "Fränkisches Fachwerk" oder das "Sächsische Fachwerk". Doch auch der Ursprung dieser vermeintlich sehr altertümlichen "alemannischen" Bautechnik führt mit seiner Entwicklung keinesfalls in die Zeiten der aus den Quellen bekannten Al(l)emannen/Alamannen der Frühgeschichte, sondern erneut in das späte Mittelalter. Diese Fachwerktechnik wurde letztlich bis in das 16. Jahrhudnert hinein genutzt und dann mehr und mehr durch andere Fachwerkstechniken, wie dem Mitteldeutschen bzw. Fränkischen verdrängt.

Sprache: Auch unter den Dialekten Süddeutschlands bildet das "Alemannische" eine feste Größe. So gibt es heute sogar ein alemannisches Wikipedia, welches Informationen zu den verschiedenen alemannischen Dialekten bietet und dabei die Artikel selbst in diesen Dialekten verfasst wurde. Beispielweise in Schwyzerdütsch, Badisch, Elsässisch und Schwäbisch. Stolz kann man dort auf Schwäbisch berichten:
"D alemannischa Wikipedia isch a Enzyklopedi en de Dialäkt vom alemannischa Sprochraum, also von dr Deitscha Schweiz, vom Elsaß, vo Liechtaschtoi, vo Oberbade, vom Schwoabaland ond aus Vorarlberg."
In den verschiedenen Ausprägungen wird - dem Zitat folgend - dieser alemannische Dialekt also von der Nordschweiz, über Baden und Schwaben bis nach Westösterreich gepflegt. Doch auch hier konstatiert die Historik und Sprachforschung, dass die Bezeichnung "alamannisch" für diese Dialekte nicht dafür Pate stehen kann, dass sich die Dialektgruppe direkt aus der frühgeschichtlichen Lebenswelt heraus entwicklet hat und seither gebräuchlich ist. Wenngleich auch hier die dialektische Ausprägung ein Phänomen mittelalterlicher Prozesse ist, so wird der Begriff "Alemannisch" doch stets noch gern als Bezeichnung des Dialekts genutzt wird. Die Benennung ist letztenendes vielmehr auf Benennungstraditionen für Dialektgruppen zurückzuführen, welche von den Pionieren der Sprachwissenschaftlern im 19. Jahrhundert zumeist aus historistischen Bestrebungen gewählt wurde. Sie orientierten sich bei der Benennung der bekannten Dialekte und Dialektgruppen in der Regel an den großen und aus Quellen bekannten germanischen Stämmen der Frühgeschichte, ohne aber direkte Verbindungen herstellen zu können.

Wie kommt es nun, dass man das aufgezeigte Al(l)emannische/Alamannische in der Regel mit den grauen, germanischen Vorzeiten verband. Gustav Schöck schreibt im Alamannenkatalog von 1997 hierzu:
"Das über einen längeren Zeitraum geformte Stammesdenken und der dadurch entstandene Nationalismus haben stets nach Konkretisierungen in der Volkskultur gesucht; denn Kontinuität zu behaupten war das eine, sie im Leben wiederzufinden und zu benennen das andere. Bräuchen beispielsweise, deren sozialer und kultureller Kontext nicht durchschaubar, deren Zeitgebundenheit nicht erkennbar war, hat man - weite Zeiträume überspringend - Kontinuität seit der Germanenzeit zuerkannt."

Die Quintessenz ist diesem Gedankengang folgend letztlich recht einleuchtend, wenngleich man auch keine Verbindung zwischen den Beobachtung der Lebenswelt und den historischen Überlieferungen finden konnte. Besonders im durch Historismus und dem altertumsorientierten Humanismus des 18. und 19. Jahrhunderts suchte man nach kulturellen Wurzeln und Verknüpfungen zur Vorzeit. So zog man trotz vieler Lücken in der Überlieferung dankbar die Al(l)emannen/Alamannen als Namensgeber für viele Bereiche des lebendigen und sichtbaren Brauchtums (wie der Sprache, den Festen oder den Bautechniken) heran und gewann dadurch für diese eine ewig scheinende, Ehrfurcht erzeugende und nicht zuletzt dadurch legitimierende Kontinuität. Was die Benenneung mit Al(l)emannisch/Alamannisch angeht, so ist man in Anbetracht des relativierenden Blickwinkel heute deutlich vorsichtiger. Man versucht so nun Aspekte des Brauchtums nüchterner und neutraler zu benennen, um sie schließlich ebenfalls zu entmystifizieren. So wird beispielsweise der alemannische Dialekt in der modernen Sprachforschung als regionales Phänomen "Westoberdeutsch" bezeichnet und das "Alemannische Fachwerk" wird "Oberdeutsches Fachwerk" genannt.

Johann Peter Hebel - Pastell von Philipp Jakob Becker (1795)

Letztlich lässt sich festhalten, dass das heute allgemein bekannte und in unserer Lebenswelt noch aktiven Elemente, die als Al(l)emannisch/Alamannisch bezeichnet werden, zumindest in ihrer Benennung eine Schöpfung der Neuzeit ist. Erst im Jahr 1803 nämlich holte der markgräfler Dichter und Kalendermann Johann Peter Hebel nach fast 1000 Jahren Vergessenheit das Alemannenthema aus dem Dunkel der Geschichte wieder in die Lebenswelt. Mit seinen "Allemannischen Gedichten" wurde er Urvater des modernen Alemannenbildes. Da man allerdings zu Hebels Zeiten abgesehen von einigen wenigen historischen Quellen nur wenig über das Al(l)emannische/Alamannische wusste, begann man jenen Begriff im Alltag zu definieren und es galt fortan als alemannisch, was man in verschiedenen Regionen für allemannisch hielt, sei es Sprache, Bauwesen oder Brauchtum.

Gerhard Fingerlin fasste im Alamannekatalog von 1997 mit Hebels Worten aus "Die Alemannen am Rheinstrom" von 1814 das Wissen bzw. Unwissen dieser Zeit zusammen: "Eigentlich weiß niemand recht zu sagen, wer diese berühmten Alemannen waren, noch wo sie auf einmal hergekommen sind ... große grobgliedrige Menschen mit blauen Augen, krausen roten Haaren, voll Kraft und Mut und Trutz, fröhliche Trinker und Spieler, ohne Kenntnisse. ... Denn sie beteten unsichtbare Götter an, wenn nicht Sonne und Mond oder den Rhein und opferten ihnen Pferde. Sonst war ihre liebste Beschäftigung der Müßiggang, dann die Jagd und der Krieg."

In der Folge entwickelte sich ab dem 19. Jahrhundert ein stark verklärtes Alemannenbild, dass dem damaligen Zeitgeist entsprach und zum Teil noch bis in die Moderne hinein existent geblieben ist. Wenngleich dieses erschaffene Bild, welches sich aus Beobachtungen und Vorstellung der Neuzeit heraus entwicklete, in Anbetracht moderner historischer wie archäologischer Forschungen keine Verbindung mit dem frühgeschichtlichen Zeithorizont aufweist, so hat sich eines gehalten: Eine Bezeichnung des Alemannischen/Alamannischen durch zwei Schreibweisen. Das Alemannische mit dem "e" ist fest im dialektischen Sprachgebrauch Südwestdeutschlands verwurzelt und ist sowohl mit dem archäologisch-historischen Zeithorizont als auch mit dem noch heute sichtbaren Brauchtum verknüpft. Dies führt zuweilen zu zahlreichen Verwirrungen und Mißverständnissen die u.a. bereits an vielerlei Stellen und Webseiten versucht wurden aufzuklären. Ist im Faztit der moderne Sprachgebrauch "Alemannisch" keinesfalls falsch, so ist es dennoch bei der üblichen Wortnutzung von enormer Wichtigkeit die beiden möglichen Inhaltsebenen zu kennen und voneinander zu trennen. Im wissenschaftlichen Umfeld umgeht man diese Problematik weitestgehend indem man schlicht die beiden verschiedenen Schreibweisen bewusst nutzt und absetzt. Die Schreibweise "Alemannisch" mit dem "e" ist so jene, welche im 18./19. Jahrhunderts als Namen für den Dialekt genutzt und zum Synonym für die Tradition und das Brauchtum weiter Teile Südwestdeutschlands wurde. Die quellenbasierte historische Forschung und besonders die Archäologie, welche sich auf die frühgeschichtlichen Alamannen des 3. bis 8. Jahrhunderts beziehen, nutzen hingegen die Schreibweise "Alamannisch" mit dem "a", welche letztlich direkt auf die lateinische Schreibweise der Quellen (vgl. lateinisch Plural "Alamanni" für "die Alamannen") zurückzuführen ist. Dabei muss allerdings beachtet werden, dass diese Systematik bisweilen nicht stringent angewandt wird, denn in vielen modernen historischen Forschungsarbeiten wird - anders als man es erwarten würde - in starker Anlehnung an den gängigen Sprachgebrauch und die großen Historiker des 19. und frühen 20. Jahrhunderts häufig noch das Alemannisch mit dem "e" gewählt, auch wenn hier ebenfalls die eigentlichen Alamannen des 1. Jahrtausends n. Chr. als Forschungsobjekt gemeint sind.

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